Nervenkitzel auf dem legendären Cresta Run
1885 sehnten sich furchtlose, britische Gäste im Engadin nach Abwechslung und Action. Auf dem Areal des Kulm Hotels bauten die tatkräftigen Engländer einen Schlittelweg von St. Moritz nach Celerina, aus blankem Eis, und nannten ihn Cresta Run. Doch was macht diesen skeletonähnlichen Sport so besonders? «Der streng geführte Club mit seiner speziellen Atmosphäre, dem Spirit und der Kameradschaft ist das Herz des Cresta Runs», sagt der ehemalige Streckenrekordhalter James Sunley. James Sunley fährt seit seinem 16. Lebensjahr und hielt von 1999 bis 2015 mit 50.09 Sekunden die Bestzeit. Seit 125 Jahren stürzen sich die Mitglieder des St. Moritz Tobogganing Clubs mit 140 Sachen, kopfvoran in den Eiskanal.
The famous Shuttlecock
Von den insgesamt zehn Kurven ist die Shuttlecock-Kurve wohl die berüchtigste. «Hier werden die Bestzeiten gemacht. Hier entscheidet sich das Rennen», so Sunley. Diese Passage gebe dem Fahrer das richtige Hochgefühl, um die letzten drei Kurven runter zu donnern. «Du brauchst Timing, Balance und musst das Eis am Körper fühlen. So weisst du, wie viel Druck es braucht und welche die Ideallinie ist.» Wer die Ideallinie nicht findet oder den Schlitten nicht mehr unter Kontrolle hat, dem dient der Shuttlecock als Sicherheitsventil. Zu schnelle Fahrer landen mit einer Hechtrolle neben dem Eiskanal in der mit Strohballen gepolsterten Abflugzone. Damit wird der Fahrer vor einem Sturz im unteren Teil der Bahn und bei Höchstgeschwindigkeiten von bis zu 140 km/h bewahrt. Hier unterscheidet sich der Cresta-Sport deutlich vom Bobbahn-Skeleton. Auf herkömmlichen Bobbahnen können die Fahrer nicht über die Kante der Kurve hinausfahren. Doch die Risikobereitschaft im Cresta Run wird belohnt. Wer seine Flugkünste in der legendären Shuttlecock-Kurve testet, wird in den offiziellen, gleichnamigen Club aufgenommen – und darf fortan offiziell eine rote Krawatte tragen.
A perfect run
«Du musst die Shuttlecock-Kurve absolut perfekt erwischen, sonst hast du im unteren Abschnitt nicht genügend Geschwindigkeit», erklärt der ehemalige Streckenrekordhalter Sunley. Für ein perfektes Rennen sei zudem ein guter Start essenziell. «Fehler bei wenig Tempo wirken sich viel stärker auf das Ergebnis aus als in den anschliessenden, schnellen Passagen. Zu Beginn stosse ich mit den Schuhen hart ab, renne möglichst schnell und schwinge mich auf den Schlitten.» Danach gilt es, möglichst geschmeidig durch die ersten drei Passagen zu kommen. Vor allem beim Ausgang der dritten Kurve, denn nach ihr folgt eine lange Gerade. Manövriert wird mit Händen, Füssen sowie Vor- und Rückwärtsbewegungen des Körpers. Ein weiterer Unterschied zum Skeleton-Bob, auf dem die Fahrer während des Rennens in einer Körperhaltung verharren. «Wenn ich das beim Cresta Run machte, würde ich aus der Kurve fliegen!»
Die wagemutigen Piloten
«Als Cresta Run-Pilot musst du konkurrenzfähig, ein wenig abenteuerlustig, geduldig und konzentriert sein. Cresta fahren ist ein Mix aus der richtigen Einstellung, verschiedenen Fähigkeiten und Gleichgewicht», erklärt Sunley. Einen Glücksbringer hat der wagemutige Brite nicht. Dafür startet er immer im schwarzen Renndress und mit gelbem Helm. Doch wie fühlt es sich an, oben am Start in den pickelharten Eiskanal zu blicken? «Es ist nie dasselbe. Nervosität schwingt aber immer mit.» Schliesslich wisse er, wie eine gute oder schlechte Fahrt enden könne. Schliesslich ist der Sport nicht ungefährlich. Nach einem Rennen treffen sich die Fahrer in der Sunny Bar im Kulm Hotel. Ein historischer Ort mit einer speziellen Atmosphäre, beinahe familiär. «Gute Leistungen werden gefeiert und neue Mitglieder willkommen geheissen», schildert Sunley. Die grossartigen Preisverleihungen auf der Terrasse seien legendär.