Der Klang vom Kulm
Von
Mathis Neuhaus
Ein Aufenthalt im Kulm Hotel stimuliert die Sinne. Mal steht der eine, mal der andere im Mittelpunkt. Doch zu hören gibt es immer etwas.
Es fällt nicht schwer, sich den Klang des Kulm vorzustellen, und zunächst werden alle Erwartungen erfüllt: Teppiche, Stoffe und Textilien dämpfen die Geräuschkulisse auf ein immer angenehmes Level herunter. Gespräche in der üppig verhängten Lobby des italienischen Designers Renzo Mongiardino können entspannt und gleichzeitig stattfinden.
Zu hören sind, auch das hatte man bereits vermutet, viele verschiedene Sprachen, die die Anziehungskraft des Ortes für ein internationales Publikum betonen: (Schweizer)Deutsch, Italienisch, Portugiesisch, Japanisch, Französisch, Russisch und, selbstverständlich, auch immer wieder Englisch lassen ein Gefühl von Globalität entstehen, das an einen Flughafen erinnert, am Gate in Richtung irgendwo. Menschen, die sich gerade erst kennengelernt haben, entdecken ihre geteilte Sprache und vertiefen sich in angeregte Gespräche. Zum Abschied die warmen, grosszügigen Worte: «If you ever need anything in Poznan, please let us know.» Das immer wunderbare Geräusch einer raschelnden Zeitung dringt ans Ohr, genauso wie das weniger wunderbare, aber auch nicht unangenehme, Tippen auf einem iPhone oder iPad. Subtil gibt es Hinweise über den Schreibrhythmus, und damit vielleicht auch über die Stimmung der sendenden Person und die Dringlichkeit ihrer Nachricht. Manchmal wird die produktive fast-Stille des Vormittags durchschnitten von dem Einsatz eines Handstaubsaugers, der Ordnung bringt, wo nur für das geschulte Auge so etwas wie Unordnung zu erkennen war.
Das Instrument, das vor allem mit einem Hotel der Kategorie des Kulm assoziiert ist, ist ebenfalls zu hören: am Nachmittag fliesst leise Pianomusik aus den gut versteckten Lautsprechern der Lobby. «Moon River», ursprünglich gesungen von Audrey Hepburn im Film «Breakfast for Tiffany’s» aus dem Jahre 1961, trägt als mühelos interpretierte, fast schon beiläufige Instrumentalversion zur Atmosphäre des Raumes bei, in der der Eindruck (und die Hoffnung) entsteht, als lasse sich die Gegenwart in eine Ewigkeit verlängern. Auch ein echter Flügel, aus Holz, Filz, Tuch und Metall, kündigt durch seine Präsenz eine ausstehende Aktivierung an.
Später, wenn die Sonne untergegangen ist, wird er in der genau richtigen Lautstärke gespielt werden und den Soundtrack zu den kleinen und grossen Geschichten der Lobby liefern. So untermalt er, wie Kinder lust- und geräuschvoll eine Pizza essen, Geburtstagsglückwünsche übermittelt und dankend empfangen werden und Gespräche sich ohne Eile zwischen dem Klang anstossender Gläser entfalten.
Die ruhige Grundstimmung, die das Hotel prägt, vermischt sich immer wieder mit Einflüssen aus seiner unmittelbaren Umgebung. Am nächsten Morgen tragen die geöffneten Fenster der Lobby frische Luft und Rotorengeräusche in den Raum, vermutlich von einem Hubschrauber im Einsatz auf einem der umliegenden Berge. Vorsichtig besingen die Vögel die Ankunft der langsam kräftiger werdenden Sonne. Der Hubschrauber steigt höher und höher und ist bald nicht mehr zu hören.
Über den Autor
Mathis Neuhaus (*1991) bewegt sich variantenreich durch die kulturellen Strömungen. Als Kurator verantwortete er von 2019 – 2024 das Musikprogramm vom Schauspielhau Zürich, als Kulturjournalist schreibt er für Plattformen, die seine Haltungen teilen. Als Redakteur gestaltet er zweikommasieben, eine Magazin, das sich der Dokumentation zeitgenössischer Musik und Sounds widmet. Geleitet von diesem Interesse hörte er auch bei seinem Besuch des Kulm Hotels genauer hin.