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Geschichten rund um die alpine Spielwiese von St. Moritz

Dunkelrot, fast schwarz

Dark Red, Almost Black

Von
Ilona Hartmann

Wer, wie die Autorin Ilona Hartmann, einen neugierigen Geist hat, kann immer etwas entdecken. Ihren subjektiven Blick auf die Welt giesst sie in Texte, die kommentierend unterhalten und inspirieren. Im Kulm Hotel traf sie unter anderem auf die Direktorin Jenny Hunkeler, machte eine transzendente Wellness-Erfahrung und genoss perfekt gereifte Früchte. Die Illustratorin Olga Prader hat sich von Hartmanns Text für einige Zeichnungen anregen lassen und rückt die Abenteuer einer Kirsche in den Fokus.

Es sind die Kirschen. In diesen Kirschen, die dunkelrot, fast schwarz glänzend in der Schale liegen, ist die ganze Süsse und Wehmut des langsam schwindenden Sommers konzentriert. Was nicht ungewöhnlich ist für saisonales Obst. Aber es ist ungewöhnlich, es in diesem perfekten, auf den Tag genau richtigen Reifezustand in einem vom milchig-goldenen Nachmittagslicht beschienenen Obstteller in einem Hotelzimmer mit Blick auf die Schweizer Alpen vorzufinden. Sofort ist klar: Hier ist ohne Zweifel ein guter Ort. Wo es solche Kirschen gibt, da ist auch auf alles andere zu vertrauen.

 

Luxus bedeutet nicht unbedingt Überfluss, sondern vielmehr das genau Richtige im genau richtigen Moment.

Ende August leuchtet am Horizont das sattgrüne Ende der Sommersaison. Langsam, fast unmerklich werden die Farben matter, die Schatten schärfer, der Wind spitzer. Auch dieses Jahr wird es einen Herbst und einen Winter geben in St. Moritz, einem der sonnenreichsten Orte der ganzen Schweiz. Aber noch gibt es saftige Pfirsiche, Nektarinen, Mirabellen – und eben Kirschen. Es sind Details wie diese, die kleinen, leicht zu übersehenden Feinheiten, die das Kulm abheben von anderen Orten. Luxus bedeutet nicht unbedingt Überfluss, sondern vielmehr das genau Richtige im genau richtigen Moment. Es ist die ungleich höhere Kunst. Wer mit offenen Sinnen durch das geschichtsträchtige Haus geht, wird noch mehr davon entdecken.

In St. Moritz haben zwei Dinge eine lange Tradition: Innovation und Bewegung. Als Wiege des Wintertourismus, als erster Ort der Schweiz mit elektrischem Licht vor beinahe 150 Jahren, als weltbekanntes Terrain für Wandertouren, Golf, Bob- und Pferderennen. Mensch, Natur und Technik haben sich über die Jahrhunderte immer wieder neu aneinander ausgerichtet, respektvoll und demütig. Heute ist St. Moritz ein kosmopolitischer Ort, der körperliches und mentales Wohlbefinden auf höchstem Niveau ermöglicht. Und sich den Charme eines eigenwilligen Bergdorfs erhalten hat, was nicht zuletzt an der besonderen Geschichte des Ortes und seinen Menschen liegt. Denn dass die Dinge in Bewegung sind, sein müssen, besonders in einem den Naturgewalten so nahen Ort wie diesem, steht ausser Frage. Allein schon die steilen An- und Abstiege der schmalen Gassen fordern Bewohnerinnen wie Besucher seit je heraus, behutsam, ausdauernd und für jede Gelegenheit des Innehaltens dankbar zu sein. Das Kulm stellt sich der Aufgabe, dazu beizutragen und dabei den ursprünglichen Charakter nicht nur verschwommen zu erinnern, sondern aktiv zu pflegen.

Echte Erholung entsteht, wenn sicher ist, dass sich alles Wichtige in guten Händen befindet. Auch der eigene Körper. Das Spa steht seit zehn Jahren unter der Führung von Hoteldirektorin Jenny Hunkeler und heisst mit einem ganzheitlichen Behandlungsmenü willkommen. Hier wird deutlich, wie wichtig das Gespür für tiefe Regeneration ist und was die Grundvoraussetzungen dafür sind. Angenehme, würzige Düfte, sanftes Licht, helles Holz. Die schlichte Eleganz des Interieurs und die zuvorkommende Gelassenheit der Therapeutinnen und Therapeuten schaffen den optimalen Rahmen, um sich kurz oder auch richtig lange einfach fallen zu lassen. Wer sich hierher begibt, wird aufgefangen von kräftigen Händen, warmen Liegen, weichen Handtüchern, heissem Dampf.

Jenny Hunkeler leuchtet auf, wenn sie über ihre Arbeit erzählt, wählt Worte und Gesten achtsam und präzise. Das Programm des Spas sowie die Kuration der Pflegeprodukte ausgewählter Marken entwickeln sich in gewissenhaften Auswahlprozessen, angestossen durch persönliche Kontakte und einen immer wachen Blick für passende Partner und Partnerinnen. Ziel, so Hunkeler, sei idealerweise eine langfristige Partnerschaft mit Raum für Weiterentwicklung. Besondere Aufmerksamkeit wird auch den Wünschen der Gäste geschenkt. Dennoch gilt es in der schnelllebigen Wellnesswelt, in der fast wöchentlich neue Treatments und Produkte auf den Thron gehoben werden, nicht den Überblick und vor allem nicht die eigene Identität als Traditionshaus aus den Augen zu verlieren. Es gelinge mit Intuition, sagt Jenny Hunkeler. Selbst ausgebildete Yogatrainerin, findet sie am besten während einer kurzen Bewegungseinheit früh am Morgen in diese zentrierte innere Haltung. Eines der Kernelemente des Behandlungsangebots im Kulm Spa ist die Signature-Sportmassage, bei der die Verbindung zwischen Körper und Geist, innen und aussen harmonisiert und die intensiv genutzte Muskulatur bis in die Tiefe gelockert wird. Vom Pool aus fällt der Blick auf den majestätischen, zerfurchten Berggipfel des Piz Rosatsch. Er sieht oberhalb der Baumgrenze ein wenig trocken aus, als bräuchte er selbst eine Pflegekur. Besonders, wenn man selbst gerade eine solche im Spa genossen hat. Wer entspannt ist, hat auch wieder Raum für Empathie. «Ruhe ist die schönste Musik, die ein Mensch geniessen kann», lautet ein Zitat des Schweizer Dichters Gottfried Keller. Ein Satz, der immer wahrer wird, je länger die Ruhe andauert.

 

 

Was wäre, wenn es überhaupt nicht verkehrt wäre, so oft wie möglich, so lange wie möglich im besten Zustand wie möglich zu sein?

Zurück zu den Kirschen. Es heisst immer: Wenn das Leben ewig wäre, wüsste man es nicht zu schätzen. Oder in diesem Fall vielleicht eher: Wenn es Kirschen das ganze Jahr in so guter Qualität gäbe, würden sie irgendwann nicht mehr schmecken, ihren Reiz verlieren. Noch mit ihrem süssen Aroma auf der Zunge frage ich mich, ob das eigentlich stimmt. Was, wenn nicht? Was wäre, wenn es überhaupt nicht verkehrt wäre, so oft wie möglich, so lange wie möglich im besten Zustand wie möglich zu sein? Erholt, geerdet, zufrieden, ruhig, lebendig, wach. St. Moritz als Ort und das Kulm als dessen Zentrum weiten den Blick, auch nach innen. Alle paar Jahre gibt es neue Studien darüber, dass der moderne Mensch gar nicht so viel anders oder weiter sei als der, na ja, gewissermassen unmoderne Mensch, der vor tausend oder zehntausend Jahren lebte. Nicht gemacht für zu viel Komfort, nicht geeignet für fortwährende Entspannung, nicht fähig, dauernd Belohnungen zu verarbeiten. Gefangen im ewigen Spannungsfeld zwischen Stress und Erholung, das frage ich mich, den Kirschkern im Mund, ist es das also, wie es sein soll? Ist es menschlich wirklich so unmöglich, diesen optimalen Zustand des genau Richtigen länger als für wenige Augenblicke, Stunden, Tage zu halten? Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Man müsste es ausprobieren. Es würde eben heissen, für immer hierzubleiben.

Über die Autorinnen


Ilona Hartmann ist Schriftstellerin und Journalistin. Ihr Debütroman Land in Sicht (2020) wurde zum Bestseller und machte sie zu einer der markantesten Stimmen ihrer Generation. Neben ihrer literarischen Arbeit schreibt sie Essays und Kolumnen für verschiedene Medien. Gemeinsam mit Christoph Amend hostete sie den ZEIT-Podcast Was machst du am Wochenende? Hartmann lebt und arbeitet in Berlin.

Olga Prader ist Grafikdesignerin, Art Director und Illustratorin mit Sitz in Paris. Sie studierte an der ECAL in Lausanne und an der Gerrit Rietveld Academie in Amsterdam. Von 2014 bis 2017 arbeitete sie bei M/M (Paris) für Marken wie Loewe, Louis Vuitton und Alexander McQueen. Seit 2017 führt sie ihr eigenes Atelier. Ihre Zeichnungen erscheinen in Publikationen wie Apartamento und ihre Arbeiten wurden international ausgestellt.